Constantin und Mokuba 06

 

Constantin spürte die Verwirrung und begann beruhigend über den Oberschenkel Mokis zu streichen. Kurz seufzte er auf und vergrub sein Gesicht zwischen Sessellehne und Knie, doch dann begann er zu erzählen. „Ich bin alt... älter als ich dir gesagt habe. Und doch habe ich nicht gelogen.“ Er versuchte möglichst wenig zu verraten, und damit den Menschen doch in Sicherheit zu wiegen. „Was ich bin?...“, flüsterte er. „Ich bin der Tod, und ich bin das Leben. Beides ist richtig... und beides ist falsch. Aber ist das nicht bedeutungslos, wenn ich dir damit helfen kann?“ Wieder sah der Vampir hoch und versuchte die schimmernden Seelenspiegel mit seinen Augen zu bannen.  

Bei der Antwort hätte Constantin auch gar nichts sagen können, das kam für Moki aufs gleiche hinaus. Er sah auf ihn herab, noch immer ausdrucksloser als man es von ihm gewöhnt war. „Und wie willst du das anstellen?“, fragte er weiterhin misstrauisch. Dieser Mann war seltsam, er schien ihm wirklich total verfallen zu sein. Die Berührungen ließ Moki zu, aber er selber berührte ihn nicht von sich aus. 

Das Misstrauen war berechtigt, das sah selbst Constantin ein. Aber wie sollte er sich erklären? Er konnte ihm ja schlecht sagen, das ein paar Tropfen seines Blutes heilende Kräfte hatten, oder? Und falls er ihm dies doch erzählen würde, dann müsste er die dadurch entstehende Abhängigkeit wohl auch breit treten. Aber gerade das wollte er nicht, er wollte das Mokuba keine Wahl hatte. Er wünschte sich, das die Unfreiheit die er in Bezug auf den Menschen spürte, erwidert wurde. „Meine Essenz... mein Blut... verlängert Leben. Durch dieses Geschenk würde deine Krankheit vielleicht nicht geheilt, aber deine Spanne deutlich verlängert. Der Preis wäre so gering... für die Gabe, die ich dir zuteil werden lassen könnte...“ Constantin sprach mit leerer Stimme. Seine Worte waren die Wahrheit und wieder nicht. Er log nicht gerne, aber im Laufe seines unendlich scheinenden Lebens hatte er gelernt, das die Ehrlichkeit mehr Schmerz bereiten konnte.  

„Dein Blut?“, fragend hob Moki eine Braue. So langsam kam er sich vor wie in einem seltsamen Traum und er hoffte das er bald daraus aufwachte. „Und... was ist der Preis?“, hakte er leise nach und sein Misstrauen wuchs weiter an. Er wollte nicht von jemanden abhängig sein. 

Constantin war erleichtert, das Mokuba seinen Vorschlag nicht gleich ablehnte. Blut war nun einmal eine heikle Sache... auch oder gerade für Vampire. Nun musste er den Menschen nur noch überzeugen, das der Preis es wert war. „Ich versorge dich regelmäßig mit ein paar Tropfen meines Blutes... und damit verlängert sich dein Leben. Vielleicht wirst du sogar auf deine Medikamente verzichten können... keine Angst mehr haben, das der Todesengel dich plötzlich holt. Und was ich als Gegenleistung möchte... mein Preis... ich will in deiner Nähe sein. Jede Nacht will ich dich sehen können, ein paar Worte mit dir wechseln. Natürlich ist mir klar, das du auch ruhen musst... Hierfür möchte ich die Erlaubnis an deinem Bett zu sitzen, bis der Morgen graut. Ich werde mich dir in keinster Weise aufdrängen, noch erwarte ich... Körperkontakt. Ich will nicht mehr ohne dich sein, in keiner Nacht. Das ist die Bedingung, das ist der Preis.“, flüsterte der Vampir.  

Okay, das war wirklich schon fast zu viel um es zu begreifen. Moki lehnte sich verwirrt an und blickte weiterhin ungläubig auf den vor ihn knienden Vampir hinab. Er schwieg und versuchte alles in seinen Kopf zu bekommen um es dort zu ordnen. Das ganze klang einfach nur Irre. Jede Nacht?... Nacht? Blut? Moki viel es wie Schuppen von den Augen. „Du bist ein Vampir?“ hauchte er ungläubig und doch war es das einzig Logische oder auch Unlogische was ihm einfiel. 

Während Mokuba die Puzzleteile zusammenfügte, kuschelte sich Constantin näher und genoss die unglaubliche Wärme, die der Mensch ausstrahlte. Zu spät kam der Gedanke, das Moki die richtige Lösung finden könnte... und dann erklang es auch schon: „Du bist ein Vampir?“ Constantin trennte sich von Mokuba und ließ sich auf die Fersen nieder. Einem anderen Vampir wäre die leichte Röte in den Wangen und das Zittern der Hände vielleicht aufgefallen, als er eine seiner losen Haarsträhnen zurückstrich. Noch wich er dem Blick des Menschen aus, um ihn dann beinahe trotzig zu erwidern. „Ja.“, mehr sagte er nicht. Weder verteidigte er sein Dasein, noch beschönigte er es. Sollte sich die Nemesis doch eine eigene Meinung bilden. Fast kam er sich lächerlich vor, wie er als altes mächtiges Wesen vor einem Menschen kniete und um seine Gunst bettelte, wie ein Schoßhund. Aber zugleich akzeptierte er es, war bereit seinen Stolz beiseite zu schieben... für das Licht, für die Vergebung die er daraus zog. 

Mit einem „Ja“ hatte Moki nun wieder nicht wirklich gerechnet, normal würde man so etwas doch nicht zugeben, oder? „Und was willst du mit mir? Ich meine ein Vampir hat doch sicher besseres zu tun als jemanden zu beobachten.“ Er nahm es erstaunlich gefasst, wahrscheinlich weil er den Tod nicht fürchtete und eine Art von Sensenmann saß ja direkt vor ihm und himmelte ihn, warum auch immer, an. „Ist das irgend ein dummes Spiel was du aus Langeweile treibst?“ 

Kurz blitzte Überraschung in den Augen des Menschen auf, bevor er Constantin auch gleich wieder zur Rede stellte. Innerlich verdrehte der Vampir die Augen und stand schließlich auf, um im Raum auf und ab zu gehen. „Ich langweile mich nicht.“, stellte er fest und schickte Mokuba einen bösen Blick. „Kannst du es nicht einfach als gegeben hinnehmen, das ich dir helfen kann und bereit bin, es auch zu tun?“ Er blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Es tat seinem angeknacksten Ego sehr gut, auf den Menschen hinabsehen zu können... wenn es auch nur am Größenunterschied lag. „Musst du immer alles hinterfragen?“, fuhr Constantin Moki an.

Aha, der Vampir witterte Oberwasser, aber Moki war nicht dumm und lümmelte sich nun richtig in den Sessel um so seine Überlegenheit zu zeigen. „Natürlich, ich muss mich ja absichern, oder?“, fragte er und lächelte kurz als wäre es ein Spiel, aber er wusste es war keins, alles war Wirklichkeit. „Ich meine, nichts könnte dich daran hindern mich einfach zu töten oder du könntest mich auch zu einem Vampir machen? Du brauchst mich doch nur zu beißen, oder sind das alles Lügen?“, er fing an zu löchern, nur um dahinter zu kommen wie der Vampir wirklich tickte. „Ich will aber kein Vampir werden... Was sollte dich hindern? Wenn ich ja sage, verlängere mein Leben, wer sagt mir das ich durch dein Blut nicht zum Vampir werde? Kannst du mir versprechen das ich kein Vampir werde? Es ernsthaft versprechen, so das ich es wirklich glaube?“ 

Wütend fauchte der Vampir auf und entblößte dabei deutlich sichtbar seine langen Fangzähne. Je länger der Mensch sich in seiner Überlegenheit aalte, desto stärker wurde in Constantin der Drang, ihn zu beißen. Einfach dem ganzen Verhandeln ein Ende bereiten und seine Hauer in den köstlich duftenden, weißen Hals zu bohren. Fast erinnerte er an ein Tier, wie er sich über den Menschen beugte und seine Zähne kurz vor dessen Gesicht zusammen schlagen ließ. Das Gesicht in einer Fratze verzerrt, und dennoch fast geblendet vom strahlenden Licht der Unschuld. „Nichts hindert mich daran, deinem jämmerlichen Leben hier und jetzt ein Ende zu bereiten... und es würde schmerzhaft sein, und voller Angst würden deine Hände sich an meinem Körper blutig reißen... dein Herz würde langsamer und langsamer werden, mit jedem Schluck, den ich dir stehlen würde.“ Constantin richtete sich wieder auf und sein Gesicht glättete sich fast augenblicklich wieder, eine eisige leere Maske. „Aber das könnte ich jederzeit haben... wenn ich es wollte. Aber ich will mehr... und ich weiß, du wirst es mir geben. Oder möchtest du verwelken, vergehen an einer Krankheit, die dich zu Boden ringt? Ich habe dir meinen Preis genannt.“ Fast schon im Gehen, den Blick ins Leere gehend, beantwortete Constantin auch noch die letzte Frage. „Du würdest kein Vampir werden... niemals würde ich das einem Geschöpf antun.“ 

Genau dies alles hatte Mokuba sehen und hören wollen. Dies war eine ehrliche und spontane Reaktion gewesen. „Okay, gib mir den Blut, verlängere mein Leben.“, wisperte er und sah den Vampir an. „Ich sterbe schon seit meiner Geburt, ich kämpfe verbissen dagegen an und ich kann bald nicht mehr.... Nicht alleine.“ Das zuzugeben viel ihm nicht leicht, aber allein der letzte Vorfall, sein Zusammenbruch und seine daraus hervorgehende Hilflosigkeit hatten es ihm gezeigt. „Schon seltsam das gerade ein Wesen das den Tod bringt, mir mein Leben verlängern kann... Und es verlängern will.“ Er richtete sich langsam und etwas mühevoll auf und kam auf die Beine. Sein Körper war seit dem Zusammenbruch deutlich schwächer geworden, er schaffte kaum den Weg zum einkaufen und wieder zurück. Es war nicht mal die Zuckerkrankheit die ihm zu schaffen machte, sie gehörte wie vieles anderes zu seinen kranken Genen... Und auch sein Haar zeigte seine Schwäche, es war noch weißer geworden und nur noch von wenigen silbernen Strähnen durchzogen. 

Als Constantin die leisen Worte vernahm und der Mensch ihm tatsächlich entgegenging, brach in ihm ein wahres Inferno aus. Mokuba hatte zugestimmt, er war bereit für ihn. Nur schwer hielt er sich davon ab, einen Freudenschrei auszustoßen. Aber zugleich war er entsetzt, denn erst jetzt nahm er die Schwäche des anderen wirklich wahr. Es erschütterte ihn in den Grundfesten, wie jeder Vampir scheute er den Tod, der mit Alter oder Krankheit einher ging. Aber er brauchte das Licht... und vielleicht, so dachte er als er in die violetten Augen sah, brauchte er auch den Menschen. Vorsichtig schlang er einen Arm um die viel zu schmale Talje Mokis und schnuffelte an der durchscheinenden Haut. „Ich denke, ein bis zwei Schlucke sollten für den Anfang genügen. Mehr wäre für den geschwächten Körper reines Gift.“ Damit hob er die Hand an seine Kehle, bereit seine Schlagader mit den Nägeln aufzureißen. „Wie willst du mich?“ Ob der Zweideutigkeit seiner Frage huschte ein ehrliches Lächeln über die sonst so kühlen Züge des Vampirs. „Kannst du direkt von mir trinken, oder möchtest du, das ich dir das Blut in ein Glas fülle?“, erklärte er und atmete die Nähe zu Mokuba wie kostbarstes Ambrosia.  

Direkt zu Trinken empfand Moki im Moment als zu intim und er wich etwas zurück. „Ein Glas wäre mir lieb, ich will nicht kleckern oder so.“, log er und löste sich gänzlich um in die Küche zu gehen. Was tat er hier eigentlich? Fragte er sich, aber er hatte zugestimmt, er gestand es sich kaum ein, jedoch in seinem jetzigen Zustand würde er nur noch wenige Wochen leben und wenn seine Mutter ihn so sah, würde er in ein Krankenhaus verfrachtet, dort eingesperrt und am Maschinen angeschlossen...Nein, das wollte er nicht. Aus einem Regal nahm er ein kleines Glas und stellte es auf den Küchentisch, das Blut war ein weiterer Strohhalm an den er sich klammerte. 

Constantin war ein wenig enttäuscht, hatte er doch die sinnlichen Lippen Mokis schon fast an seinem empfindlichen Hals spüren können. Aber wahrscheinlich sollte er dankbar sein, seinem Licht helfen zu können... innerlich seufzte er wieder auf. Wo war nur seine Arroganz und seine Unabhängigkeit geblieben? Doch als er durch die Küchentür die strahlende Korona des Menschen sah, erschien ihm das alles nicht mehr wichtig. Der Vampir schälte sich aus dem Mantel und legte ihn über den Sessel, erst dann folgte er Mokuba in die Küche. Auf dem Tisch stand ein kleines Glas, gerade richtig für seinen Zweck.

Keinen Augenblick ließ er seine Augen von der Nemesis, als er sich schnell und präzise die Pulsader der linken Hand aufriss. Sein dunkelrotes Blut begann sofort in das Glas zu tropfen, ein paar Mal musste er nachreißen, da die Wunde sich zu schnell schloss. Doch nach kurzer Zeit war das Soll erfüllt und er leckte lasziv über den Wundrand, der auch sofort verschwand. „Trink...“, forderte er den Menschen auf und reichte ihm das Behältnis. Der scharfe Geruch seines eigenen Blutes lag in der Luft, pheromongeladen mischte es sich mit der Süße Mokubas.

 

 

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